Unsere Rede zum I. Antifaschistischen Fussballturnier

Liebe Nachbar*innen, liebe Gäste, 

herzlich willkommen zu unserem I. Antifaschistischen Fussballturnier hier in Schöneweide. Wir sind das Solidarische Netzwerk Schöneweide,  ein recht junger Zusammenschluss, der sich das erste Mal über den Weg gelaufen ist, als in großen weißen Buchstaben „White Power“ an die Schule an der Wuhlheide geschmiert wurde. 

Viele von uns haben sich an alte Zeiten zurückerinnert, als der Bezirk Treptow-Köpenick, insbesondere Schöneweide, als Tummelplatz für Faschist*innen und Neonazis galt. Als Ende der 90’er Jahre immer mehr Kneipen und Geschäfte in rechte Hände fielen und im Jahr 2000 die NPD die Seelenbinderstraße bezog, machten sich rechter Hass und Terror im Kiez breit. Schöneweide wurde zum Angstraum. 

Dank der geschlossenen Initiative breiter Bevölkerungsteile beschloß die Bezirksverordnetenversammlung 2004, als Gegengewicht eine „Kultur gegen rechts“ aufzubauen. So entstand das Zentrum für Demokratie als Ort der Auseinandersetzungen mit rechten Umtrieben und als Anlaufstelle im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus. Antirassistische Projekte wurden vom Bezirk unterstützt, Schulungen von Lehrer*innen angeboten u.v.m. Die Nazis fühlen sich inzwischen nicht mehr wohl in Schöneweide. Die Kneipe „Zum Henker“ und der Security-Laden Hexogen vom NPD-Vorsitzenden Schmidtke mussten schließen. Wir können äußerlich wahrnehmbare Erfolge aufzählen, doch seit den Wahlerfolgen der bürgerlich-konservativen AfD zeigt sich, wie tief rechte Gedanken in unserem Kiez verwurzelt sind.

Seit dem Vorfall an der Schule sind wir im ständigen Austausch miteinander und unseren Nachbar*innen. Gemeinsam beobachten wir, wie tagtäglich neue, rechte Sticker, und teils faschistische Schmiereien im Kiez auftauchen. In leuchtenden Farben wird an Häuserwänden dazu aufgefordert Antifaschist*innen zu jagen und zu töten. Nachbar*innen berichten regelmäßig über neue rassistische Anfeindungen oder der Androhung von Gewalt gegenüber Antifaschist*innen. In Kneipen und in Spätis wird lauthals gegen Migrant*innen und Sinti und Roma gehetzt. Bei einer bekannten Künstlerin aus dem Kiez, die sich in ihrer Kunst offen gegen die AfD positioniert, wurde im Juni ein Stein vor der Wohnungstür hinterlassen. Auf diesem Stein war eigentlich eins ihrer Kunstwerke gemalt, jetzt aber trägt er den Schriftzug „AfD“ und „Fuck Antifa“. Doch leider war das noch nicht der Höhepunkt. Im April 2012 wurden im Rahmen einer Kunstaktion an der HTW einige Birkensetzlinge aus Auschwitz-Birkenau eingepflanzt, um an das Vernichtungslager zu gedenken. Im August diesen Jahres wurde die dazugehörige Informationstafel geklaut und vermutlich in die Spree geschmissen. Die Täter*innen haben nicht nur gesprühte Hakenkreuze hinterlassen, sondern auch in das Birkenwäldchen gekotet. 

Wir gehen mittlerweile davon aus, dass mehrere Gruppen für die rechte Propaganda im Kiez verantwortlich sind. Neben organisierten Faschist*innen aus dem Umfeld des III. Weg und der DJV, die regelmäßig durch gezielte Gewalt gegenüber politischen Gegner*innen auffallen, sind es auch Menschen aus der Sprayer-Szene, die sich hinter die Politik der AfD stellen. Hier haben wir vor allem eine Crew im Verdacht rechte Propaganda, insbesondere mit Bezug zur AfD zu sprühen und Antifaschist*innen zu bedrohen.  

Wie diese Beispiele zeigen haben wir es wieder einmal mit dem Erstarken faschistischer Strukturen in unserem Kiez zu tun. Die Bekämpfung der Folgen der Präsenz der NPD und ihrer Schergen hat an der Ursache des Faschismus nichts geändert. Uns wundert es nicht, dass die Ideologie der neuen Rechten hier in Schöneweide auf fruchtbaren Boden trifft, denn der Alltagsrassismus und die Gewalt gegenüber PoC und linken Menschen geht nicht nur von organisierten Faschist*innen aus. Auch die Menschen, mit denen wir Tür an Tür wohnen, mit denen wir am Wochenende in der Kneipe Bier trinken oder die gemeinsam mit uns ins Stadion gehen, verbreiten dumpfen Rassismus, hetzen gegen migrantische Nachbar*innen und treten nach unten auf Obdachlose. 

Die tiefe Verankerung rechter Gedanken in unserem Kiez sehen wir nicht losgelöst von den Widersprüchen unserer Gesellschaft und der Geschichte Schöneweides. Als einer der wichtigsten Produktionsstandorte in Berlin arbeiteten hier während der DDR-Zeiten mehr als 20.000 Menschen. Viele davon kamen aus Schöneweide und den angrenzenden Bezirken und alle von ihnen profitierten von den Vorzügen der sozialistischen Großbetriebe wie bezahlbaren Wohnungen, kostenloser Bildung, Polikliniken, Arztpraxen, Betriebskrippen und -kindergärten, Einkaufsmöglichkeiten, Ferienobjekten, Sportvereinen und Kulturhäusern. Der Kiez war vielleicht nicht schön, aber solidarisch und ganz sicher antifaschistisch. Angst vor sozialem Abstieg oder tatsächliche existentielle Nöte waren den Menschen fremd. Viele Alte erinnern sich gern noch an die Zeiten zurück, als das Leben in Schöneweide tobte. Jeden Abend nach Schichtende traf man sich in der Kneipe oder im Kulturhaus, diskutierte politisch oder feierte seinen Verein.

Mit dem Ende der DDR und dem Verschleudern der volkseigenen Betriebe durch die Treuhand wurde den Menschen auch die ökonomische, soziale und kulturelle Grundlage genommen. 

Beispielhaft sei hier das ehemalige Werk für Fernsehelektronik (WF) genannt, welches nach der Wende in eine GmbH umgewandelt wurde. Gemäß der Logik des Kapitalismus war der Betrieb, mit seinen Polikliniken, Betriebskindergärten oder arbeiter*innenfreundlichen Arbeitszeiten, nicht fit genug für den Weltmarkt. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Stellen von 9.000 auf 1.4000 reduziert. Nach Übernahme von Samsung 1993 wurde der Betrieb im Jahr 2005 endgültig stillgelegt. Viele Jahre stand das Gelände weitestgehend leer, bis es kürzlich 2019 von der milliardenschweren Immobilienentwicklungsfirma DIE AG gekauft wurde.  

Ein anderes Beispiel ist die KWO, ehemaliger Vorzeigebetrieb und eines der größten Kombinate der DDR, nur einen Steinwurf vom WF entfernt. Als die KWO 1993 von der Treuhand an den britischen Konzern BICC verkauft wurde, war bereits allen klar, dass der Betrieb abgewickelt werden soll. Einige Jahre kam die niederländische Draka Holding hinzu, dann noch der US-Konzern General Bicc, bis zuletzt die Wilms-Gruppe die Reste der KWO übernahm. Jeder dieser Eigentümerwechsel führte zu immer weiteren Entlassungswellen, bis im Jahr 2003 das gesamte Unternehmen abgewickelt wurde. Nur 14 Jahre nach der Wende wurde einer der letzten großen Betriebe der DDR ausgeblutet und seine Mitarbeitenden auf die Straße gesetzt. 

Diese beiden Betriebe stehen exemplarisch für den Wandel Schöneweides in den letzten drei Jahrzehnten und auch für die Entwicklung im Osten der Republik. Die ökonomische, soziale und kulturelle Grundlage, die die DDR vielen Menschen geboten hat ist Enttäuschung und Wut gewichen. Die Realität im Kapitalismus heißt Mietpreiserhöhung, Abbau von Sozialleistungen und öffentlicher Daseinsfürsorge, Abwälzung der Kosten von Corona- und Finanzkrisen auf die Arbeitenden, sowie Umverteilung von unten nach oben dank Inflation. Rassistische Hetze kann keine Antwort auf diese Problem sein. Solidarität, wie hier und heute, kann die einzige Antwort sein. 

Vorbei sind die Zeiten, in denen Kindergartenplätze oder bezahlbare Wohnung staatlich organisiert wurden. Die Polikliniken haben geschlossen und das Krankenhaus Köpenick ist unterversorgt, da privatisiert. Mittlerweile gibt es in ganz Schöneweide nur noch einen Kinderarzt, Fachärzte kaum, einen Termin bekommt man ohnehin nicht. Die Lehrer*innen in den Schulen sind überfordert, den Erzieher*innen in den Kitas geht es ähnlich. Einen Kitaplatz zu finden ist ohnehin großes Glück. Die Kultur ist für viele Alteingesessene dem Alkoholismus oder dem Konsum gewichen.

Während wir und unsere Nachbar*innen weiter ausgegrenzt werden, wird kräftig in unser Viertel investiert. In Schöneweide knallen die Korken und exklusive Events bereichern das Leben derjenigen, die es sich leisten können. Vor allem bei denen, die sich in den Resten der alten Betriebe festgesetzt haben, dürften bald die Kassen ordentlich klingeln.

Das Werk für Fernsehelektronik wird für 1,1 Mrd. € zum sogenannten BE UFER entwickelt. Auf 234.000 Quadratmetern Fläche entsteht ein riesiges Gewerbeareal und keine einzige Wohnung, die unserem angespannten Mietmarkt etwas Erleichterung verschaffen könnte. Dafür kommen bald moderne InnovationLabs, und ein lebendiges Quartier nach Schöneweide. Energieautark soll es sein, Einkaufsmöglichkeiten, Büros und Gastronomie bieten. Sogar eine Fähre vom einen Spreeufer zum anderen soll es geben. Als Vorgeschmack auf die Kommerzialisierung unseres Kiezes finden an diesem Wochenende die sogenannten „Kulturtage Treptow-Köpenick“ vor dem Gelände statt. Eine Ansammlung von Schieß- und Bratwurstbuden, Rummel und Bierzelten. Ein neuer Versuch den öffentlichen Raum zu kommerzialisieren. 

Das ehemalige Kulturhaus des Werks, gleich nebenan dem BE Ufer wird unter dem Namen „Wilhelmine“ aufgewertet. Anstatt Kulturveranstaltungen für die Arbeitenden Menschen aus den anliegenden Werken, gibt es nun ein Co-Working, exklusive Gastronomie und teure Abendevents. 

In der alten Bärenquell-Brauerei, auf dieser Seite der Spree, entsteht ein neues Unterhaltungsviertel, mit Clubs, Bars, einem Markt und Biergarten. Büros und Geschäftsflächen sind natürlich auch vorgesehen. Menschen aus ganz Berlin strömen jetzt auch zum Feiern in unseren Kiez. 

Beispiele für Aufwertung und Investitionen in Luxusprojekte gibt es in unserem Bezirk viele. Nur die alte KWO steht beinahe immer noch komplett leer. Aber nur fast, denn nachts wummern die Bässe des Mahallas durch die Nachbarschaft. Die Aufgabe dieser Künstler*innen, die sich hier auf die nächsten 15 Jahre angemietet haben, ein weiteres Aufwerten der Immobilie und der gesamten Nachbarschaft. Die Wilms-Gruppe, die das KWO damals abgewickelt hat ist immer noch Besitzerin des Geländes. Sie verhindert nicht nur den freien Zugang entlang des Ufer, sondern wartet geduldig bis die anderen Projekte im Bezirk abgeschlossen sind, damit sie das riesige Areal der KWO gewinnbringend veräußern oder entwickeln können. 

Die Verdrängung und der soziale Abstieg macht es einer reaktionären Partei wie der AfD oder organisierten faschistischen Strukturen leicht mit ihrer Demagogie an die Ängste der Menschen anzuknüpfen. Da wird schnell gegen Migration gehetzt, schließlich sind ja Andere und nicht der Kapitalismus schuld daran, dass man selbst kein Teil der Entwicklung in diesem aufstrebenden Kiez ist.

Den Kampf gegen rechte Meinungen und faschistische Strukturen gewinnen wir nicht in dem wir die Menschen aus dem Kiez verdrängen. Auch den reaktionären Umbau der Gesellschaft werden wir nicht von Schöneweide aus stoppen können. 

Doch, wir als Solidarisches Netzwerk Schöneweide werden uns ab sofort einmischen und einen klaren Standpunkt gegen Privatisierung, Gentrifizierung und Rückbau der Sozialleistungen, sowie der öffentlichen Daseinsfürsorge einnehmen. Wir lassen es nicht zu, dass unsere Nachbar*innen gegeneinander ausgespielt werden und sich faschistische Meinungen im Kiez breit machen. Wir akzeptieren nicht, dass Nachbar*innen ausziehen müssen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können oder entmietet werden. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir die Rolle der Großprojekte und Investitionen in Schöneweide kritisch. 

Das Solidarische Netzwerk Schöneweide steht für eine gemeinschaftliche und solidarische Kommunalpolitik von unten. Wir möchten uns für die Menschen aus unserer Nachbarschaft einsetzen, Widersprüche erkennen und gemeinsam mit ihnen diskutieren. Wir wollen uns aktiv in die Entwicklung unseres Kiezes einmischen und wehren uns gegen die Verdrängung unserer Nachbar*innen.  Wir wollen nicht-kommerzielle Erlebnisse und Orte schaffe und gemeinsam mit euch allen eine Stadtteilpolitik von unten aufbauen. 

Werdet aktiv und schließt euch an. Kommt zu unserem nächsten Treffen und lasst uns gemeinsam ein Solidarische Schöneweide aufbauen!